#1

Es ist nun schon über 5 Jahre her

in Eure Geschichte 26.02.2021 02:21
von Geigenmarie • 4 Beiträge | 4 Punkte

Ich wollte schon immer ein Kind haben, schon als Teenager war der Wunsch da.
Viele Jahre hatte ich keinen Partner und war mit Studium und Arbeit bzw. Arbeitssuche beschäftigt.
Erst 2011, mit 35 Jahren begann meine erste feste Beziehung, aber anfangs war noch kein Gedanke an ein Kind wegen Fernbeziehung, Unsicherheit, ob er der Richtige ist, keine unbefristete Arbeitsstelle, etc.
2014 beschloss ich, schwanger werden zu wollen, trotz aller Schwierigkeiten, und obwohl mein Partner nicht unbedingt einen Kinderwunsch hatte. 2015 wurde ich schwanger, ich bemerkte es erst, nachdem die Regel 1 oder 2 Wochen ausgeblieben war. Davor hatte ich eine schlimme Erkältung mit Antibiotikum gehabt, so dass ich das Ausbleiben der Regel darauf geschoben hatte. Ich war überwältigt, hatte auch Gedanken wie: “Oh Gott, jetzt kann ich nicht mehr zurück, ob ich das alles schaffen kann?” Sehr schnell habe ich mich jedoch sehr gefreut und gleich eine sehr innige Verbindung gespürt. Da ich damals gerade bei meiner Mutter zu Besuch war und ich es meinem Partner nicht am Telefon sagen wollte, erfuhr er es erst 8 Tage später, als ich wieder zuhause war. Er war sehr geschockt und reagierte völlig unsinnig (“wir müssen uns Namen ausdenken, wir müssen es im Kindergarten anmelden”).
Wir unternahmen kleine Ausflüge und er schien sich langsam an den Gedanken zu gewöhnen. Am 6.12.2015 machten wir einen schönen Spaziergang rund um einen wunderbaren Bergsee in den österreichischen Alpen. Am 7.12. (es war in der 7. SSW) wachte ich früh auf und hatte einen furchtbaren Traum gehabt. Ich hatte geträumt, mir hätte jemand mit einem dünnen Metallstab mit einem Haken am Ende in der Gebärmutter rumgestochert, und ich weiß, dass ich im Traum dachte, “hoffentlich passiert nichts meinem Kind!” Dann fand ich nach dem Aufwachen eine kleine Blutung vor, sehr schwach, rosa... Ich machte mir Sorgen, tröstete mich aber damit, dass es oft passieren kann, meine Mutter hatte in ihren Schwangerschaften auch noch ein paarmal die Regel gehabt. Zu Mittag wurde die Blutung immer stärker, wir aßen (Rote Bete mit Tofu) und dann begannen die Schmerzen, und die Blutung wurde immer stärker. Ich legte mich hin, weinte, telefonierte mit einer lieben Freundin, und eine Stunde später machten wir uns auf, mein Partner fuhr mich ins Krankenhaus (LKH Salzburg). Dort warteten wir lange in der Gynäkologie, die Schmerzen waren mittlerweile im ganzen Bauch und strahlten bis in die Knie aus. Ich weinte auch, weil ich Schlimmes ahnte. Die anderen wartenden Mütter mit ihren Babys zu sehen, fiel mir sehr schwer. Als ich endlich drankam, hatten wir erst ein Gespräch (es war sogar der Chef der Gyn/Kinderwunschabteilung), wo wir sagten: 1. Schwangerschaft, Wunschkind, etc. Dann kam der vaginale Ultraschall. Er führte das Gerät ein, schaute auf den Bildschirm und fing an zu fluchen: “wer hat denn das Gerät so verstellt?!” Dann fingerte er da bestimmt eine Minute lang an dem Gerät rum, während der Untersuchungskopf immer noch in mir steckte... ich fühlte mich wahnsinnig unwohl... dann endlich sah er was. Er schaute kurz und sagte: “Da ist nichts.” Ich glaubte, mich verhört zu haben und fragte: “Wie bitte?” Er: “Da ist kein Kind.” Mir brach alles zusammen! (Ich weiß, für die in der Gynäkologie ist das alltäglich, aber ein kleines “Leider” hätte ihn auch nicht umgebracht...) Der Bluttest hatte ja klar ergeben, dass ich schwanger war. Ich wurde nach Hause geschickt mit einem Rezept für Schmerztabletten, und der Anweisung, dann und dann wiederzukommen für eine Blutabnahme, um zu sehen, ob der HCG Wert abnähme und ob man eine Ausschabung machen müsse.
Wir fuhren also wieder nach Hause, ich weinte sehr. Die körperlichen Schmerzen waren ja auch noch da, nicht nur die seelischen...
Zu Hause musste ich aufs Klo, und da merkte ich, wie etwas aus mir herausrutschte. Ich fischte es heraus, und hatte nun eine kleine Plazenta und eine blutgefüllte Blase in der Hand. Ich fing an zu heulen wie ein Schlosshund. Da kam mein Partner herbeigelaufen, und erst als er das sah, fing er auch an zu weinen.
Ich tat es dann in ein kleines Schraubgläschen mit Wasser und stellte es in den Kühlschrank. Von den folgenden Tagen weiß ich nicht mehr viel, nur dass ich manchmal mit schwarzem Humor sagte, ich habe ein Baby im Kühlschrank. Und ich fühlte mich unglaublich einsam. Vorher hatte ich mich meinem Kind so verbunden gefühlt, und plötzlich war es weg, es war so leer und kalt in mir! Ich konnte mich lange nicht überwinden, es zu begraben. Erst am Tag vor Heiligabend musste es sein, weil wir beide an Heiligabend zu unseren jeweiligen Familien fuhren. Ich grub ein kleines Loch am Fuße eines Pflaumenbaumes in unserem Garten, holte die sterblichen Überreste aus dem Kühlschrank, kippte es auf eine Glasschale, um es bei Tageslicht auf unserer Terrasse nochmal genau anzuschauen und zu fotografieren, dann wickelte ich es in eine Mullkompresse, legte es ins Grab, legte einen Plätzchen-Stern darauf, den ich wenige Wochen zuvor zusammen mit meiner Mutter gebacken hatte (erst viel später ging mir auf, dass die Sternform ja ein Symbol für so ein Sternenkind war! Ich hatte mich aus mehreren Formen unbewusst für dieses Plätzchen entschieden!), Erde darauf, dann sangen wir ein paar Bachchoräle, wobei ich eigentlich vor Weinen nicht singen, sondern nur jaulen konnte...
Ich brauchte keine Ausschabung, und ich habe lange sehr schlimm getrauert. Es tat mir so weh, dass ich dieses Kind nicht kennenlernen durfte! Und ich hatte noch nichtmal ein Ultraschallbild... Immerhin wusste ich nun, dass wir schwanger werden können, da war ich mir ja nicht so sicher gewesen.
Nach einigen Monaten fingen wir wieder an, es zu probieren, aber es klappte nicht. Sommer 2017 beschloss ich, als letzten Ausweg nochmal die Low-Carb-HCG-Globuli-Diät zu machen, die ich im Sommer 2015 auch gemacht hatte, um Gewicht zu verlieren, und nach 3 Monaten und 7 kg leichter dann schwanger geworden war. (Die 7 kg hatte ich dann durch Kummer-Essen wieder drauf bekommen.)
Und siehe da, wieder nach 3 Monaten und 7 kg leichter wurde ich wieder schwanger! Diesmal hatten mehrere Leute für mich gebetet, u.a. auch ein FB-Freund in Nigeria. Ich hatte ihn am 4.10. auf Facebook Messenger gebeten, für mich um ein gesundes Baby zu beten. Am 10.10. war die Empfängnis! Am 22.10., noch bevor meine Regel fällig gewesen wäre, schrieb er mir “bist du schon schwanger?” Ich: “Leider nicht, warum fragst du?” Er: “wir haben letzte Nacht wieder für dich gebetet, und Jesus hat uns wissen lassen, dass deine Bitten erhört worden sind!” Ich nahm das zu dem Zeitpunkt gar nicht ernst, erst in der Rückschau fiel mir das auf!
Wenige Tage später machte ich dann den Schwangerschaftstest: positiv!
Ich war sehr ängstlich in der Schwangerschaft, und innerlich traute ich mich nicht, wieder so eine innige Verbundenheit entstehen zu lassen. (Mein Sohn ist vielleicht auch deswegen gar nicht so ein Kuscheltyp?) Ich hatte ständig Angst, dass das Baby wieder sterben könnte, und auch im ersten Lebensjahr war es so, dass ich ständig Angst hatte, das Kind könnte sterben.
Es ging aber alles gut, wir heirateten noch im Februar 2018 (eigentlich hatten wir Sommer 2018 heiraten wollen, aber das haben wir dann vorgezogen), und am 25. Juni (ich der Geburtstag meines Mannes!) kam dann unser Sohn per Kaiserschnitt zur Welt, ich war 42 und mein Mann 54.
Meine Trauer um mein erstes Kind ist besser geworden, aber Wellen der Trauer und des Schmerzes treffen mich auch jetzt noch von Zeit zu Zeit. Das kleine Grab hat jetzt eine Laterne, wo manchmal eine rote Grabkerze brennt. Unser Sohn ist ganz fasziniert davon.
Wenn Leute sich wunderten, wieso ich denn immer noch traurig wäre, wo ich doch jetzt so ein tolles Kind hätte, tat mir das sehr weh. Ich sagte dann immer, dass mein Sohn ja kein Ersatz sein kann, weil es ja ein ganz anderes Kind ist. Sie stimmten mir dann zwar zu, aber ich glaube, dass es viele nicht verstehen können. Komisch, wo Fehlgeburten doch so verbreitet sind...
Es tröstete mich auch kein bisschen zu wissen, dass es vielen Frauen passiert. Für mich war es das Schlimmste, was mir in meinem bisherigen Leben passiert ist.
Leider habe ich keine psychologische Therapie dafür gemacht (ich hatte dann auch noch nach der Geburt unseres Sohnes eine postpartale Depression), aber kürzlich hatte ich im Rahmen meiner Reha nach einem mittelschweren Verlauf von Covid-19 drei Psychologische Einzelgespräche, und die Therapeutin ermutigte mich, von meinem Sternenkind immer als meinem “ersten Kind” zu sprechen und ihm einen festen Platz in unserer Familie einzuräumen. Das hat mir ebenfalls geholfen.


zuletzt bearbeitet 26.02.2021 02:31 | nach oben springen

#2

RE: Es ist nun schon über 5 Jahre her

in Eure Geschichte 26.02.2021 02:56
von Umut • 2.732 Beiträge | 2734 Punkte

Hi,

Irgendwie tut es gut das zu lesen.bei nur war's ähnlich. Ich hatte das Baby auch einige Wochen im Glas, jetzt im Garten mit kleinen Grabstein begraben....damals wusste ich nichts von diesem Forum in anderen wurde ich deshalb als psycho und arme irre beschimpft. Ich wäre ein Fake usw. Da tut es gut zu lesen das es anderen auch so ging. Das man nicht der einzige war der nicht loslassen konnte.

Habt ihr euren Sohn von Anfang an die Wahrheit gesagt wer da liegt? Ich weiß noch nicht wie wir das mit unserer kleinen Handhaben.

Das mit Ersatz sehr ich auch so. Sind doch zwei verschiedene Menschen. Viele verstehen ja aber auch nicht das man ein totes Haustier nicht durch ein neues ersetzt. Wie sollten sie das verstehen?


zuletzt bearbeitet 26.02.2021 06:42 | nach oben springen

#3

RE: Es ist nun schon über 5 Jahre her

in Eure Geschichte 26.02.2021 06:44
von Susanne • 4.752 Beiträge | 4770 Punkte

Hallo Marie, danke für das Teilen Deiner Geschichte! Es werden sich sicher sehr viele Frauen, in Deinen Gedanken und Erfahrungen wiederfinden. Alles Gute, Susanne

nach oben springen


Besucher
0 Mitglieder und 178 Gäste sind Online

Forum Statistiken
Das Forum hat 2098 Themen und 48252 Beiträge.


Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen